Nur Sozialtechnik oder auch Persönlichkeit?
Beziehungen basieren auf Charakter & universellen Prinzipien
Wie häufig kommt es vor, dass wir in bestimmten Situationen, in denen wir emotional unter Druck geraten, nicht so reagieren, wie es im Nachhinein betrachtet gut gewesen wäre? Wie häufig haben Sie sich persönlich vorgenommen, in für Sie herausfordernden Situationen besonnen zu reagieren. Um danach festzustellen, dass Sie wieder einmal nicht gelassen genug waren. Kennen Sie das? Charakter
Ein Beispiel: Wir hatten mit unserenKindern eine Fahrradtour unternommen. Irgendwo unterwegs hatten wir angehalten, standen aber für andere etwas ungünstig im Weg. Mir ist es aus Gründen der Rücksicht immer wichtig, anderen nicht im Weg zu stehen. Also habe ich meine Kinder gebeten Platz zu machen. Diese waren jedoch durch anderes abgelenkt, so dass sie meiner Bitte nicht nachkamen. Ich merkte, wie mich das innerlich in Unruhe und unter Druck versetzte, weil ich den mir wichtigen Wert Rücksicht nicht gewürdigt sah. In dieser vermeintlichen Notsituation hatte ich meine Kinder unnötig heftig zurechtgewiesen. Und in dem Moment als ich das tat, wusste ich bereits, dass meine Reaktion überzogen war. Entgegen meiner Vorsätze war ich in dieser Situation nicht ruhig geblieben – wieder einmal. Die fröhliche Stimmung meiner Kinder war für den Moment dahin. Umstehende verstanden gar nicht die Aufregung und ich vermutete, dass ich gerade kein so tolles Image abgegeben hatte. Am meisten ärgerte mich, die Situation nicht souveräner gemeistert zu haben.
Das Beziehungskonto
Stellen Sie sich vor, es gäbe ein Beziehungskonto, auf das man Einzahlungen und Abhebungen machen könnte. So wäre jede gelungene Bemühung, die Beziehung zu verbessern eine Einzahlung und jede vertrauensmindernde Handlung eine Abhebung von diesem Konto. Mein Verhalten aus dem Beispiel oben ist so gesehen also eine Abhebung. Das geht so lange gut, wie ausreichend Beziehungsguthaben da ist. Gerät das Konto jedoch ins Minus, leidet die Beziehung, wird stark belastet oder gar gänzlich zerstört.
Schein und Sein
Wie oben erwähnt, hatte ich das Gefühl, kein gutes Image abgegeben zu haben. Ich konnte in einem Moment der Wahrheit den guten Schein nicht wahren. Charakterlich betrachtet könnte man sagen, dass eine charakterliche Schwäche zutage trat, vielleicht nicht für alle Umstehenden, aber zumindest für mich persönlich. Natürlich möchten wir Menschen unsere persönlichen Eigenschaften, die nicht vorteilhaft sind und den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden, hinter einem schönen Schein verbergen. Das ist legitim. Doch es gelingt nicht immer. In diesen Situationen wird das tatsächliche SEIN, der Charakter offenbar.
Image-Ethik versus Charakter-Ethik
Stephen R. Covey schreibt in seinem Buch „Die 7 Wege zur Effektivität“ darüber, dass aus den letzten 50 Jahren viel Literatur darüber zu finden ist, wie man über Sozialtechniken als soziales Schmiermittel sein Image verbessern kann, während aus den 150 Jahren Schrifttum zuvor der Fokus mehr auf die charakterliche Bildung gelegen hatte und damit auf eine Charakter-Ethik mit u.a. folgenden Eigenschaften:
- Mut zur Auseinandersetzung
- Fleiß, Leistung, Qualität
- Dienen, Beitrag
- Demut, Bescheidenheit
- Mäßigung, Geduld, Gelassenheiit
- Umsicht, Fairness, Güte
- Konsequenz, Zuverlässigkeit
- Treue, Pflege von Dingen
- persönliches Wachstum
- Einfachheit
- Integrität
Wie man leicht sieht, sind das ganz andere Eigenschaften als die der Image-Ethik, die in starkem Maße vom Ansatz des Organisational Behaviours mit Ausrichtung auf persönlichen und geschäftlichen Erfolg geprägt wurde und Ergebnisse der Sozialtechniken darstellen:
- Kommunikationsstärke
- positive Ausstrahlung
- Selbstsicherheit
- Überzeugungskraft
- Abschlussstärke im Vertrieb usw.
Den Schein mithilfe dieser Techniken zunächst künstlich herzustellen ist durchaus hilfreich und vor allem da sinnvoll, wo der eigene Charakter (das Sein) noch nicht ausreichend Zeit hatte zu reifen. Ideal ist es, wenn das Image mit dem Charakter möglichst deckungsgleich wird. Der Weg dahin ist ein Reifungsprozess, der durch Trainings und Seminare seinen Anfang nimmt. Das allein reicht aber nicht aus. Die erlernten Sozialtechniken werden erst allmählich adaptiert und Schritt für Schritt Teil der eigenen Persönlichkeit. Man kaut also alles gut durch, schluckt die Lerneinheiten, die sich gut anfühlen, herunter und spuckt das wieder aus, was sich nicht integrieren lässt. Dieser Prozess benötigt, wie ich schon an andere Stelle meines Blogs betont habe, viel Zeit und zusätzliche Impulse von außen:
- Begegnungen mit verschiedensten Menschen
- schmerzhaftes Feedback
- Herausforderungen und Krisen
- Scheitern
- anspruchsvolle Bücher
- Coaching usw.
Mein Artikel „Ich-Entwicklung“ zeigt die Schwierigkeiten des persönlichen Reifungsprozesse sehr gut auf.
Beziehungs-Ethik
In Bezug auf Begegnungen mit anderen Menschen und das Thema Beziehungsarbeit hilft etwas, das ich Beziehungs-Ethik nenne. Während die Charakter-Ethik gewissermaßen ein Endzustand darstellt, konzentriert sich die Beziehungs-Ethik auf den Weg zu einem gereiften Charakter:
- Höflichkeit und Freundlichkeit
- Offenheit und echter Dialog
- Zuhören und Verstehen, Empathie
- Toleranz, Respekt
- Interesse, Neugier, Hinwendung
- Wertschätzung, Ermutigung
- Entwicklung, Unterstützung
- Hilfsbereitschaft, Präsenz
Diese Haltungen in Begegnungen mit Menschen sind durch ihre Ausübung Charakter bildend. Die Beziehungs-Ethik stellt sicher, dass wir als Ergebnis die Sozialkompetenz erlangen, für die wir Teilnehmer in unseren Trainings sensibilisieren. Trainings können diese Kompetenzen allerdings – wie oben erwähnt – nicht im klassischen Sinne „beibringen“, sondern irritieren zunächst und führen erst durch nachträgliches Arbeiten an sich selbst allmählich zum Erfolg.
Der Kompromiss
Das Leben läuft nicht so ab, dass wir zuerst an unserer Ethik arbeiten und erst danach gereift Sozialtechniken anwenden. Das Ganze läuft ehrlich gesagt ziemlich holprig ab. Menschen, die uns begegnen, sind wohl oder übel unsere Versuchskaninchen im bewussten oder unbewussten Bemühen, Sozialkompetenz zu erwerben und Charakter zu entwickeln. Deswegen ist es auch vollkommen in Ordnung, dass unsere Eltern und Ausbilder uns zunächst vor uns selbst schützen und uns Sozialtechniken einstudieren lassen, um sozialverträglich auftreten zu können — auch wenn wir deren Wert noch gar nicht begreifen.
Über „eingepaukte“ Sozialtechniken, die womöglich künstlich aufgesetzt wirken, lassen sich Arbeitsbeziehungen also zweifellos legitim professionalisieren, z.B. für Telefonmarketing, Verkaufsgespräche, Führung usw. Aber diese Sozialtechniken sind nur dann hilfreich, wenn die Beziehungs-Ethik nicht vernachlässigt wird. Beides wird gebraucht und ergänzt sich gegenseitig: Sozialtechniken und -methoden links (Image-Ethik), Sozialkompetenz und Beziehungsethik rechts (Charakter-Ethik bzw. -bildung).
Vernachlässigte Charakter-Bildung
Covey bemängelt, dass in den letzten Jahrzehnten Sozialtechniken (Image) zulasten der Persönlichkeitsentwicklung überbetont wurden. Das hat dazu geführt, dass Charakter-Ethik in unserer auf Effizienz und kurzfristigem Erfolg basierten Wirtschaftswelt zu kurz kommt. Es fehlt in der Wirtschaft an Führungspersonal, das sich auf alte Tugenden wie die Charakter-Ethik zurückbesinnt. Die gewissenlose Ausbeutung unserer Ressourcen (Material, Natur, Mensch) ist eine Folge dieser Entwicklung.
Prinzipien zur Navigation durchs Leben
Weiter schreibt Covey über das, was gute Beziehungen im Leben ausmachen: Gute Lebensprinzipien wie die Charakter-Ethik sind wie eine zuverlässige Landkarte, die die Landschaft genau so abbildet wie sie tatsächlich ist. Gemeint ist damit die Beschaffenheit der Menschlichen Psyche, die sich nicht austricksen lässt. Ein Beispiel: Wenn ich fair zu anderen Menschen bin, dann merken diese das genau. Wenn ich mich dagegen unfair verhalte, wird das augenblicklich von anderen registriert. Unweigerlich stellt sich sofort ein Ungerechtigkeitsgefühl ein. Man kann dieses Gefühl nicht austricksen, weil die menschliche DNA bzw. die Psyche unbestechlich ist. Die DNA ist die Landschaft. Und für diese Landschaft brauche ich eine gute Navigation — also eine stimmige Landkarte: feste Lebensprinzipien!
Sind die Prinzipien bei einer Person nicht ausgereift durch einen zu hohen Anteil von Image-Ethik, so wirken sie wie eine ungenaue Landkarte: Man kommt bei Aufbau und Pflege von Beziehungen vom Weg ab. Beziehungen gelingen nicht, weil mehr Abhebungen statt Einzahlungen auf Beziehungskonten gemacht werden. Eine fatale betrieblich Folge daraus ist möglicherweise, dass durch falsches Führungshandeln der gemeinsame Erfolg eines Teams oder einer Organisation geschmälert wird. Die Effektivität leidet. Die Effizienz sowieso.
Wird dagegen die Landkarte korrigiert, indem wir Lebensprinzipien zunehmend besser erlernen, so gelingt der Aufbau erfolgreicher (Geschäfts)Beziehungen wesentlich besser, inklusive der Beziehungen zu Mitarbeitern. Dazu muss man wissen, dass die Charakter-Ethik unverrückbare Prinzipien umfasst: Was erfolgreich funktioniert bei Beziehungsaufbau und -pflege ist durch die menschliche Psyche, durch das menschliche Wesen vorgegeben. Wir können nicht tricksen. Wir können nur die Landkarte verbessern, um dauerhaft erfolgreicher zu navigieren.
Mit Paradigmenwechseln zur Integrität
Bringen wir unsere eigene Landkarte in Ordnung, verändert sich der Blick auf die die Landschaft: Wir sehen die Dinge plötzlich klarer, facettenreicher und aus anderen Perspektiven. Plötzlich verbessert sich unsere Wahrnehmung spürbar, weil sich unser SEIN entwickelt hat. Das Sehen ist mit dem SEIN untrennbar verbunden. Der eigene Charakter kommt durch Reifung mit dem angestrebten Schein zunehmend besser in Übereinstimmung, so wie es das Bild ganz oben zeigt. Positives Charisma und Integrität entstehen.
Die neu gewonnenen Perspektiven sind nichts anderes als Paradigmenwechsel, die ich im Artikel Zukunft der Arbeit beschrieben habe. Auf persönlicher Ebene finden sie ihre Entsprechung in der Ich-Entwicklung.
Zurück zum Erlebnis mit meinen Kindern. Es ist bereits ein Vorteil, wenn man das eigene Verhalten erkennt (Paradigmenwechsel), aber von der Erkenntnis bis zur erwünschten Verhaltensänderung ist es doch noch ein Stück Weg. Gezieltes Coaching kann helfen, ungeliebte Verhaltensweisen abzulegen und durch erwünschte zu ersetzen, um über diesen Weg Beziehungen zu verbessern und ein erfolgreicheres und zufriedeneres (Arbeits)Leben zu erreichen.
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